»Hallo, Marion?« Werner Born steuerte durch die Tischreihen zu dem jungen Mädchen gleich neben der Musikbox. »Ich suche dich schon die ganze Zeit. Wir waren doch um acht verabredet. Hast du das vergessen, oder willst du nichts mehr von mir wissen?« Das dunkelhaarige Mädchen hob den Kopf, um in das lachende jugendliche Gesicht Werners zu sehen. Sie hatten sich an der Uni kennengelernt und waren jetzt seit gut vier Monaten zusammen. Und sie waren sich gegenseitig treu, im großen und ganzen wenigstens. Und das war nicht wenig. Sie hatten beide ihre Chancen. Er, groß und athletisch gebaut, wußte das unwiderstehliche Lachen seiner blauen Augen außerhalb der Vorlesungen genauso wirksam bei den Kommilitoninnen einzusetzen wie seinen klaren Verstand während der Vorlesungen und Übungen im Klinikum. Anatomie stand auf seinem Programm. Die ersten Tage und Wochen war ihm der Umgang mit Toten und allem, was für einen Medizinstudenten damit zusammenhing, arg an die Nieren gegangen, doch inzwischen machte er, sehr zum Leidwesen Marions, selbst die makabersten Scherze mit. Marion Kraft hatte pechschwarze Augen in einem feingeschnittenen Gesicht, dem hochgezogene Wangenknochen ein mehr als apartes Image gaben. Sie hieß allgemein nur die Zigeunerin, und sie hatte es sich schon lange abgewöhnt, sich darüber zu ärgern. Sie war ein eher ernster Typ, und als Werner einmal gesagt hatte, er treibe seine anatomischen Studien am liebsten bei ihr, da hatte sie das gar nicht komisch gefunden. Es schmeichelte ihr, daß die Männer in den höchsten Tönen von ihrer Figur schwärmten, aber Anzüglichkeiten mochte sie trotzdem nicht. Und das hatte sie Werner auch deutlich spüren lassen.
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